Emmerich Kálmáns „Die Herzogin von Chicago“ am Landestheater Detmold, Bildrechte: Landestheater Detmold/Jochen Quast

Emmerich Kálmán, „Die Herzogin von Chicago“ in Detmold

Amerika und Europa, das bedeutet heute: Zölle und Gegenzölle, Artikel 5 Nato-Vertrag und 5%-Ziel. Für Emmerich Kálmán waren das Charleston und Csárdás, Foxtrott und Walzer. Über die verschiedenen Tänze hat er die Operette „Herzogin von Chicago“ geschrieben, die am Landestheater Detmold in einer neuen Produktion herausgekommen ist, sich auch am Spielzeitende noch großer Beliebtheit erfreut hat und schon im August 2025 wieder aufgenommen wird.

In dem Stück geht es um die Milliardärstochter Mary Lloyd, die sich in Europa einen Prinzen kaufen will. Sie landet mit ihrem Adjudanten James Bondy und einer Jazzband im Gefolge in dem bankrotten Sylvarien, deren Erbprinz Sándor Boris aber nichts von den Jazz-Klängen aus ihrer Welt wissen will. Er bevorzugt die alten Tänze und überhaupt die Tradition, hat aber immerhin noch so viel Fürsorglichkeit für sein Volk, dass er, um die Staatskasse aufzubessern, sein Schloss an die reiche Mary verkaufen will, die, samt ihrem Gefährten James Bondy von den cleveren Ministern Sylvariens in den Adelsstand erhoben werden, damit sie den Erbprinzen und er die Prinzessin Rosemarie des ebenso bankrotten Staates Morenien heiraten können.

Es geht in dem 1928 am Theater an der Wien uraufgeführten Stück also um den musikalisch ausgetragenen Gegensatz modern versus althergebracht, aufstrebender Kapitalismus versus ängstliche Traditionsverhaftung,

Der Regisseurin Geertje Boeden schien das aber zu einfach. Nicht nur hat sie die Vereinigten Staaten in ein Fantasieland namens Dollarien umgetauft, um, wie sie sagt, Klischees von realen Nationengegensätzen zu vermeiden, sondern zusätzlich das ganze Geschehen in die Sphäre einer Filmproduktion gehoben mit einem Produzenten als Conférencier, dem offenbar zunächst nicht ganz klar ist, ob er einen Stummfilm oder einen Tonfilm, schwarz-weiß oder farbig drehen soll, also etwa die Kontroversen der Filmbranche zur Zeit der Entstehung der Operette.

Leider funktionieren diese Brechungen dramaturgisch nur mit Mühe. In dem Personal aus der späteren Tonfilm-Ära erkennt man in Mary unschwer Marilyn Monroe und in James Bondy James Dean (oder evtl. Elvis Presley), als Stummfilmpersonal der alten Welt wird der Erbprinz als Charly Chaplin verkleidet und seine Minister als Oliver Hardy und Stan Laurel. Stumm können sie in der Operette aber nur zwei lange Minuten am Anfang sein, wenn zu der Mimik und Gesten der Dialoge Texteinblendungen gezeigt werden. Danach ist der Effekt verbraucht, und das Alte wird fortan schwarz-Weiß ausgeleuchtet und immer, wenn Mary und ihr Gefolge auftreten, wird es bunt. Diese Ikonographien passen weder zur Filmgeschichte, weder zum Operettensujet, noch gibt es irgendeinen heutigen Bezug, denn was wäre an Monroe und Dean modern?

Dieses ganze dramaturgische Beiwerk wäre auch nicht nötig, würde die Geschichte sonst mit Tempo erzählt. Aber am Schauspielerischen mangelt es fast allen Beteiligten und vor allem am Sprachwitz, sie sind eben Gesangssolisten, sodass sich der Abend in den gesprochen Dialogen in behäbiger Slapstick- und Sitcom-Komik dahinzieht.

Kálmáns „Herzogin von Chicago“ hat keine Evergreens, wohl aber zahlreiche gut komponierte Duette oder Ensembles wie „Ein kleiner Slowfox mit Mary bei Cocktail und Sherry“ oder „Charleston, Charleston tanzt die Welt“, denen er mit dem Apparat des Operettenorchester durchaus Jazzmodernität mit Kolorit und Rhythmus mitgegeben hat, wenn denn die Detmolder Beteiligten das auch ebenso umgesetzt hätten. Aber auch musikalisch wirkte das Geschehen im Detmolder Landestheater am Ende der Spielzeit etwas mühsam und zäh – trotz Glamour auf der Bühne und einer vielbeschäftigen Kostümwerkstatt, die für die Hauptdarstellerin Emily Dorn alias Mary Lloyd für jeden Auftritt ein neues Kleid im Old-Hollywood-Stil angefertigt hat.

Besuchte Vorstellung: 05.07.2025, Premiere am 23.05.2025, wieder ab 27.08.2025

Besetzung:
Sandor Boris: Stephen Chambers
Prinzessin Rosemarie: Marianna Nomikou
Graf Bojatzowitsch / Tihanyi: Andreas Jören
Marquis Perolin / Kompoty: Euichan Jeong
Graf Ernesto: Torsten Lück
Der Produzent / Benjamin Lloyd / Der Haushofmeister: Heiner Junghans
Mary Lloyd: Emily Dorn 
James Jacques Bondy: Nikos Striezel

Edith Rockefeller: Andrea Drabben
Maud Carnegie: Annemarie Wolf
Dolly Astor: Josefine Kaus
Lilian Ford: Madoka Sato
Baby Steel: Giulia Spinelli
Kuppi Mihaly: Ognjen Milivojsa
6 Boys bei Sandor: Felix Schmidt, Caio Amaral, Felipe Dos Santos Vasques, Levin Mischel, Lifan Yang, Steffen Schulte

Opernchor und Symphonisches Orchester des Landestheaters Detmold

Musikalische Leitung: Michael Spassov
Regie: Geertje Boeden
Ausstattung: Beata Kornatowska
Choreografie Annika Dickel
Dramaturgie Emilia Ebert
Licht: Udo Groll
Chor: Francesco Damiani