Erika Baikoff (Ophelia) Bildrechte: Herwig Prammer

Francesco Gasparini, „Ambleto“ am Theater an der Wien

„Ambleto“ von Francesco Gasparini kam 1705 in Venedig heraus. Die Titelpartie sang der berühmte Kastrat Nicolini. Als dieser seine Karriere in London fortsetzte, sorgte er dafür, dass die Oper dort 1712 erneut gespielt wurde. Von beiden Aufführungen existieren gedruckte Libretti, aber leider keine Musik, außer ein in London erschienenes Liederbuch mit dem Titel „Songs in the Opera of Hamlet“. Die Rezitative sind verschollen, und in diesem Liederbuch stammt nur etwas mehr als die Hälfte der Arien von Gasparini. Der italienische Ambleto bei Gasparini und Shakespeares Hamlet haben übrigens nichts miteinander zu tun, außer dass sie auf dieselbe Quelle, nämlich die Chronik „Gesta danorum“, die um 1200 entstand, zurückgehen.

Manchmal werden für Wiederentdeckungen von Fragmenten die Rezitative nachkomponiert. Am Theater an der Wien, wo „Ambleto“ jetzt herauskam, aber nicht. Der Countertenor und musikalische Leiter der Produktion Raffaele Pe und die Regisseurin Ilaria Lanzino haben ein komplett neues Stück kreiert, eine Mischung aus Gasparini (bzw. Apostolo Zeno und Pietro Pariati – die beiden Librettisten in Venedig) und Shakespeare. Erzählt wird ein blutrünstiges Familiendrama ohne politische Motivationen wie bei Shakespeare. Hamlets Vater ist eines natürlichen Todes gestorben, seine Mutter Gertrude will nicht trauern, sondern verliebt sich in den Onkel Claudius. Darüber erleidet Hamlet ein Trauma, was ihn zu immer unkontrollierteren Handlungen veranlasst, inklusive eines Totschlags an Ophelias Vater Polonius, die sich längst von ihm losgesagt hat.

Im Theater an der Wien werden die Arien immer wieder zugespielten Shakespeare-Zitaten unterbrochen, um so einen Handlungsfaden in der Hand zu halten. Die Texte der Arien selbst sind mehr oder weniger austauschbar. Mal heißt es: „Meine tugendhafte Treue steht meinem Hass nicht mehr länger im Wege“, mal: „Sieh meine Leiden, meine Seele gehört mir nicht mehr“ also Affektverse, wie man sie in jeder opera seria findet.

Trotzdem ist es Regisseurin gelungen, ein schlüssiges Drama auf die Bühne zu bringen, weil die Darsteller echte Figuren verkörpern. Raffale Pe zunächst den Ophelia zugewandten Liebhaber, dann den Psychopaten, Ophelia selbst ein unsicheres junges Mädchen, dann eine reife zur Vergeltung bereite Frau, Gertrude, die sich nur mit Mühe von ihrem Sohn Hamlet lossagt, Polonius der um das Wohl seiner Kinder besorgte Vater, Laertes als lasziver, aber empathischer Jüngling und Claudius, der nichts als einen Familienfrieden will. Das alles ereignet sich nicht durch Worte, sondern durch sichtbare psychologisch nachvollziehbare Handlungen, ohne pantomimisches Gezappel, wie man es oft sonst in der Oper erlebt.

Musikalisch bringt der Abend nur spärliche Erkenntnisse. Das Originalklang-Ensemble La Lira di Orfeo wird von der Konzertmeisterin Elisa Citterio zusammengehalten, lässt aber in punkto Präzision und Klangbalance trotz schöner Ideen für das Arrangement, inklusive Harfen und Percussionstöne oder reichlich eingesetzter Trompeten, noch Wünsche offen. Mag aber sein, dass die Möglichkeiten des Ausgangsmaterials weitgehend ausgeschöpft wurden. Der Countertenor von Raffaele Pe klingt, wenn er forciert, was an diesem Abend häufig notwendig war, immer etwas schrill, während der Sopranist Mayaan Licht mit einem angenehm warmen Timbre erfreute. Erika Baikoff als Ophelia hatte sehr häufig ein angestrengt wirkendes Vibrato in der Stimme, während Ana Maria Labin ihre Koloraturkaskaden unter voller Kontrolle hatte. Und immer wenn der Bass Miklós Sebestyén als Claudius und der Bariton Nikolay Borchev als Polonius zu singen begannen, erlebte man bewegliche und tragfähige Stimmen mit guter Artikulation.

Diese Hamlet-Adaption spielt in einem von Martin Hickmann gebauten modernen mehrstöckigen Einfamilienhaus, dessen Badezimmer im Mittelgeschoss angesiedelt ist, mit einer blutüberströmten Ophelia in der Wanne am Anfang und am Ende, mit Hamlets großzügig möbliertem Schlafzimmer darunter, einem Esszimmer ganz oben und ganz unten ein Salon, in dem Hochzeit gefeiert wird und auch die Trauerstunde für Polonius abgehalten wird, die beide durch tätliche Angriffe Hamlets im Eklat enden und später mit dem Tod der meisten Protagonisten, die dann mit reichlich Theaterblut zum Schlussapplaus antreten.

Premiere: 06. 05. 2025, noch bis zum 17. 05. 2025

Besetzung:

Hamlet: Raffaele Pe
Claudius: Miklós Sebestyén
Getrude: Ana Maria Labin
Ophelia: Erika Baikoff
Polonius: Nikolay Borchev
Laertes: Maayan Licht

La Lira di Orfeo

Musikalische Leitung: Raffaele Pe
Konzertmeisterin: Elisa Citterio
Inszenierung: Ilaria Lanzino
Bühne: Martin Hickmann
Kostüme: Vanessa Rust
Licht: Anselm Fischer
Klangregie: Rupert Derschmidt
Dramaturgie: Christian Schröder