
Brecht/Weill, „Die Dreigroschenoper“ am Berliner Ensemble
Barrie Kosky, der ehemalige Intendant und nach wie vor wichtiger Regisseur an der Komischen Oper Berlin, hat sich einen Namen gemacht für die Wiederbelebung des unterhaltsamen Musiktheaters – sprich der Operette – der Zwanzigerjahre. Dass er irgendwann auf „Die Dreigroschenoper“ zusteuern würde, ergibt sich fast zwangsläufig aus seinen dramaturgischen Vorlieben. 2021 hat er Brechts und Weills Erfolgsstück am Platz der Uraufführung, dem Theater am Schiffbauerdamm, dem heutigen Berliner Ensemble, herausgebracht. Und seitdem erlebt diese Produktion regelmäßige und umjubelte Wiederaufnahmen.
Die Bühne von Rebecca Ringst passt scheinbar gar nicht zu Koskys Operettenstil: Die ersten Szenen spielen vor einem Glitzervorhang – immerhin – aber wie in einem Kammerspiel, später sieht man eine Art vertikales Labyrinth, ein verwinkeltes Klettergerüst, auf dem die Darsteller herumturnen. Und als Mackie Messer gefangengenommen wird, ist eine lange Eisenkette, die geräuschvoll zum Perkussionsinstrument mutiert, das Hauptrequisit. Was auf den ersten Blick sparsam aussieht, ist in Wirklichkeit eine ideale Spielfläche für Koskys theatrale Vorlieben, z. B. das beiläufige Zurschaustellen von sexuellen Präferenzen, indem Mackie Messer mit dem Kettenfetisch sich von Frau Peachum „dominieren“ lässt, bei der nie klar wird, was sie eigentlich unter ihrem Pelzmantel trägt (Kostüme: Dinah Ehm).
Oder die sich aus der jeweiligen Situation ergebende Komik, z. B. bei Lucys großer Eifersuchtsarie, die bei der Uraufführung 1928 gestrichen wurde, weil man angeblich dafür einen dramatischen Sopran braucht. Kosky hat aus der Nummer die exaltiere Empörung eines Mädchens gemacht. Laura Balzer singt natürlich nicht wie ein Königin der Nacht, sondern hüpft, krakeelt und gestikuliert wie eine Girlie, aber auf eine höchst virtuose Weise und übertrifft darin noch Tabintha Frehner als Polly.
Dann Koskys Vorliebe für Slapstick und Stummfilmästhetik. Der Polizeichef Brown wird hier genderfluid von Kathrin Welisch gespielt als Charlie-Chaplin-Karikatur. Wie er/sie und Mackie Messer den Kanonensong als Slapstick-Nummer absolvieren, hat akrobatische Qualitäten. Kosky muss sich auch nicht um politische Korrektheit bemühen, wenn es dort heißt, „‘ne neue Rasse, ‚ne braune oder blasse“, aus der sie „Beefsteak Tartar“ machen, weil die Absurdität rein durch das Bühnenspiel schon deutlich wird.
So staunt man von Nummer zu Nummer, was einem da alles an hintergründigem oder offensichtlichen Spektakel geboten wird, dem dreimal wiederkehrenden Haifisch-Song, bei dem Joyce Sanhá wie ein Mondgesicht aus dem Vorhang lugt, die resolut-dominante Spelunkenjenny, die Bettina Hoppe als Frau spielt, die sich fast schon zum Establishment gehört, und einen soigniert, selbstgefälligen Peachum. In solchen Momenten nähert sich diese „Dreigroschenoper“ der Dialog–Komödie.
Die Hauptfigur ist in jedem Fall aber Mackie Messer, in der besuchten Vorstellung glänzend performt von Gabriel Schneider. Er darf sich bei Kosky in der „Ballade vom angenehmen Leben“ als Star à la Freddy Mercury gebärden, was man ihm mit seiner Körperpräsenz durchaus abnimmt. Er kann aber auch larmoyant oder ängstlich wirken wie in der Hinrichtungsszene.
Bei aller theatralischen Vielfalt bleibt die Aufführung doch immer nah am Text, weil das Personal des Berliner Ensembles natürlich überragende Sprechqualitäten hat und weil die Bühne trotz aller Andeutungen eben nicht von Requisiten überfüllt ist oder Nebenhandlungen ablenken würden.
Die „Dreigroschenoper“ ist ja mindestens zur Hälfte Musiktheater. Brecht beklagte nach der Uraufführung sogar, sie sei zu sehr Oper und zu wenig Lehrtheater. Musiktheater gewinnt mit der Qualität der musikalischen Aufführung. Naturgemäß sind die Schauspieler keine Opernsängerinnen, aber wie hier mit den scheinbaren Schwächen im Gesang produktiv umgegangen wurde, war eine weitere Qualität der Aufführung. Das siebenköpfige Kammerensemble im Graben leistete einen wichtigen Beitrag, auch wenn die an ein barockes Concerto gemahnende Ouvertüre noch reichlich schief klang.
Besuchte Vorstellung: 05.10.2025, Premiere: 13.08.2021
Besetzung:
Jonathan J. Peachum: Tilo Nest
Celia Peachum: Constanze Becker
Polly Peachum: Tabintha Frehner
Mackie Messer: Gabriel Schneider
Brown: Kathrin Wehlisch
Lucy: Laura Balzer
Spelunkenjenny: Bettina Hoppe
Der Mond über Soho: Joyce Sanhá, Heidrun Schug
u.v.m.
Musikalische Leitung: Adam Benzwi
Regie: Barrie Kosky
Bühne: Rebecca Ringst
Kostüme: Dinah Ehm
Licht: Ulrich Eh
Dramaturgie: Sibylle Baschung