
Aribert Reimann, „Melusine“ in Frankfurt
Aribert Reimanns Oper „Melusine“ gilt als erste Öko-Oper. 1971 in Schwetzingen uraufgeführt, acht Jahre vor der Gründung der Grünen, thematisiert sie den vergeblichen Kampf einer jungen Frau gegen die Zerstörung eines wildwüchsigen Parks, in dem sie ihren Zufluchtsort vor den Zumutungen ihrer Mutter Madame Lapérouse findet, die sie mit dem Geschäftsmann Oleander zwangsverheiratet hat. „Den Wind habe ich in meinem Haar gefangen, alle Vogellieder höre ich in meinem Herzen“, singt mit ausladenden Koloraturen Anna Nekhames in der Frankfurter Neuproduktion.
In dem Biotop herrscht Pythia, eine Art Erda und Urmutter, die zum Kampf gegen die Zerstörung aufruft und Melusine mit einem Fischschwanz ausstattet, mit dem sie alle Männer, insbesondere die Bauarbeiter, die in diesem Park das Schloss von Graf von Lusingnan errichten sollen, ihm wahrsten Sinn bezirzt. So ist Melusine eine Art Undine und zugleich eine Greta Thunberg der 70er-Jahre. Aus heutiger Sicht fällt es aber schwer, die gescheiterte Rettungsaktion für einen Park mit den globalen Umweltkrisen zusammenzubringen. Auch wenn man sich an die Vorlage des Librettos von Claus H. Henneberg erinnert, nämlich ein Theaterstück von Yvan Goll, der sich wiederum von seiner Frau Claire Goll anregen ließ, die in einem verwilderten Stadtpark inmitten von Paris ihr Refugium fand. Um einen Park zu retten, reichen einfache Rechtsverordnungen, man muss sich nicht wie Melusine in einen existenziellen Kampf begeben.
Die Regisseurin Aileen Schneider hat deswegen das Sujet in eine dystopische Science-Fiction-Zukunft verlegt, in der ein solcher Park zum seltenen, anbetungswürdigen Fundstück geworden ist und somit zum Fanal eines bevorstehenden Weltuntergangs. In der Mitte einer Rundbühne im Bockenheimer Depot befindet sich eine weltraumschiffartige Installation mit etwas Grün in der Mitte, um das herum sich Melusine bewegt, eingehüllt in das umschlingende Tüll eines überdimensionierten Hochzeitskleids und mit Lila-Haartracht. Auch die anderen Figuren sind von der Kostümbildnerin Lorena Díaz Stephens surrealistisch gekleidet, die Bauarbeiter mit ausladenden Monturen mit futuristischen Apparaten, Mutter Lapérouse mit Stahlperlenperücke und metallisch abweisendem Kleid, Pythia in einer Mischung Hippie- und Karnevalsmontur. Einzig der Graf erscheint nahbar, in den sich Melusine verbotenerweise verliebt, ausgerechnet in den Naturzerstörer.
Die beiden zelebrieren im 4. Akt ein in Länge, Faktur und Gehalt stark an „Tristan und Isolde“ erinnerndes Liebesduett, in dem Reimann – wie auch in den anderen Teilen der Oper – seine Kunst eines ganz auf die Bühnenpersonen zugeschnittenen Gesangs zeigt und eine plastische Orchestersprache, die ebenso ganz im Dienst des dramatischen Fortgangs steht. Anna Nekhames zeichnet die Titelfigur hier und in den Koloraturkaskaden am Anfang als Sinnbild einer naturnahen, noch unartikulierten Äußerungsform in herausragende Präsenz und Virtuosität, wohingegen Liviu Holender als Graf von Lusingnan sie mit klarer textverständlicher Diktion beschwört. Textnähe ist übrigens auch sonst einer der großen Vorzüge von Reimanns Opernstil.
Reine Protestoper? Ganz so simpel ist die Dramaturgie von „Melusine“ nicht. Der Schlosserbauer und Naturzerstörer Lusingnan beschwört ständig Naturbilder, um seine Liebe zu Melusine auszudrücken: „Alle Bäume tragen Deine Augen, anstelle von Früchten“, und Melusine antwortet ebenso. Später singt sie: „Ich bin Mensch geworden“, heißt, sie emanzipiert sich von den bürgerlichen Zwängen der Mutter wie der naturgewaltigen Pythia, von Zanda Švēde mit einer zu der Rolle passenden Stimmdominanz und Bestimmtheit dargestellt. Aber diese Art von Melusines Menschwerdung ist – wie bei „Tristan und Isolde“ – dann doch wieder ein freiwilliges Beschwören des vorkulturellen Daseins, bei dem der Graf den Resonanzboden bildet: Regression als Emanzipation. Damit aber fällt das Stück ein Stück weit aus unserer Zeit, denn es hat sich herumgesprochen, dass man Ökokrisen am besten mit kluger Politik begegnet und mit scharfem Nachdenken z. B. über ein neues Rechtsverständnis vom Eigentum.
Dirigent Karsten Januschke und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester in Kammerbesetzung sind, bis man sich eingehört hat, ein bisschen zu sehr abseits positioniert, um den sich auf dem vorderen Rund zutragenden Gesang zu umhüllen. Beim aufmerksamen Zuhören bekommt aber doch mit, mit welcher Präzision die Musiker Reimanns ungeheuer differenzierte und nach mehr als 50 Jahren immer noch moderne Orchestersprache artikulieren: die schabenden und zirpenden Klänge, das sirenenartige Dröhnen, die klingende Feuersbrunst am Schluss, wenn das von Pythia in Brand gelegte Schloss untergeht.
Premiere: 06.06.2025, noch bis zum 25.06.2025
Besetzung:
Melusine Anna Nekhames
Pythia: Zanda Švēde
Madame Laperouse: Cecelia Hall
Oleander: Jaeil Kim
Graf von Lusignan: Liviu Holender
Geometer: Dietrich Volle
Maurer; Frederic Jost
Architekt: Andrew Kim
Oger: Morgan-Andrew King
Erste Dame: Ekin Su Paker
Zweite Dame: Daria Tymoshenko
Dritte Dame: Zuzana Petrasová
Erster Herr: Hubert Schmid
Zweiter Herr: Alexander Winn
Sekretär: Dominic Betz
Drei Arbeiter: Hubert Schmid/ Alexander Winn/ Dominic Betz
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Musikalische Leitung: Karsten Januschke
Inszenierung: Aileen Schneider
Bühnenbild: Christoph Fischer
Kostüme: Lorena Díaz Stephens
Licht: Olaf Winter / Jonathan Pickers
Dramaturgie: Maximilian Enderle