
Mozart, „Die Zauberflöte“ an der Wiener Staatsoper
Mitten in der Ouvertüre von Mozarts „Zauberflöte“ an der Wiener Staatsoper sieht man drei Knaben auf Fahrrädern. Sie dringen in ein dunkles Spukschloss ein und hantieren mit gruseligen Gegenständen, Skeletten und Gitterkäfigen. Was am Anfang noch aussieht wie ein Gothic-Film, wird mehr und mehr zu einer spielerisch-virtuosen, auch humorvollen und handwerklich unglaublich ausgefeilten Arbeit des Bühnenbildners und Videodesigners Falko Herold, auch der Kostümbildnerin Eva Butzkies und der Regisseurin Barbora Horáková.
Da schwebt Sarastro auf der Mondsichel und im Kleid der Königin der Nacht herab als ein Weisheitspriester, der Spaß am Crossdressing hat. Viel später, als sich Papageno und Papagena viele kleine Kinder wünschen, singen sie vor dem Vorhang, auf dem sich ein stilisierter Baum wie in einer groben Kreidezeichnung rosarot einfärbt und darunter eine immer mehr anwachsende Schar von Babys angedeutet werden. Es ist diese reduktionistische Videoästhetik, wie man sie in seinerzeit auch in der legendären Zauberflöten-Inszenierung von Barrie Kosky erlebt und der dortigen Stummfilm-Optik erlebt hat: mit wenigen Mitteln viel andeuten.
Um es vorweg zu nehmen. Dieses Duett war auch musikalisch die beste Nummer des Abends, weil hier das von Adam Fischer geleitete Orchester mit Ludwig Mittelhammer und Hannah-Theres Weigl in ein herrliches Miteinander kamen und sich die musikalischen Figuren zuwarfen.
Diese „Zauberflöten“-Inszenierung quillt an Ideen über. Man muss sie gar nicht in eine dramaturgische Reihe bringen, sondern es reicht, sich eins ums andere Mal überraschen zu lassen: als Tamino in den Tempel eindringen will, hat er es plötzlich mit dem Barkeeper eines Herrenclubs zu tun. Im zweiten Akt wandelt sich das Spukschloss in ein offenes Puppenhaus mit mehreren Stockwerken. Da singt Serena Sáenz die Höllenarie der Königin der Nacht (leider in der Höhe ein wenig unsicher, dann aber doch glücklich zu Ende gebracht), da träumt Monostatos (hervorragende stimmliche Präsenz: Jörg Schneider) im Obergeschoss, endlich auch ein liebender und geliebter Mensch sein zu dürfen. Eben dieser Monostatos, den man im ersten Akt noch als Kohle verschmierten Heizer des Spukschlosses erlebt, womit jede Blackfacing-Debatte im Keim erstickt wird.
Am Ende lässt Horáková die Geschichte in eine allgemeine heitere Versöhnung münden, in die auch die Königin der Nacht einbezogen wird, bei der alle in Alltagskleidung dem herzlichen Applaus entgegen lächeln.
Die Regisseurin spricht im Programmbuch von einer Art Lebens-Prüfung, die Tamino und Pamina durchleben (und dabei plötzlich altern – und sich am Ende wieder verjüngen). Aber in erster Linie erlebt man boulevardeske Komik, besonders in den leicht modernisierten, aber immer noch ausufernden Dialogen, in denen die Gesangssolisten sich nicht wirklich als gute Schauspieler zeigen und sich insbesondere der Papageno als der Haupthumorträger schon arg abmühen muss.
Dennoch ist es eine große Freude, sich dieser Überfälle an optischen Einfällen auszusetzen, als moderne Version einer Wiener Zauber- und Maschinenoper, in deren Tradition die „Zauberflöte“ ja auch steht.
Sängerisch waren bei der Derniere dieser Saison einige Abstriche in Kauf zu nehmen. Franz-Josef Selig kam als Sarastro bei „In diesen heil‘gen Hallen“ gerade noch so über das Orchester, Cyrille Dubois mühte sich im von Adam Fischer vorgegebenen langsamen Tempo ebenso durch Taminos Bildnisarie wie Maria Nazarova in Paminas „Ah ich fühls“. Solche langsamen Tempi sind eigentlich eine Einladung an die Solisten zu einer besonderen Phrasierung und auch Verzierung. Aber sowohl Dubois als auch Nazarova haben das allenfalls für ganz kurze Momente aufgegriffen. Stattdessen fielen die tröpfelnden Begleitfiguren aus dem Orchester meist verloren zur Erde. Das war in der Ouvertüre noch ganz anders, als Adam Fischer im Mittelteil ein Prestissimo vorgab, das das Orchester mit unglaublicher Präzision umsetzte. So gab es zwar viele interessante musikalische Ideen, von den viele aber im Ansatz stecken blieben.
Besuchte Vorstellung und Derniere in der Spielzeit 24/25: 05. 05. 2025, Premiere: 27. 01. 2025 wieder ab 03. 09. 2025
Besetzung:
Sarastro: Franz-Josef Selig
Tamino: Cyrille Dubois
Sprecher: Clemens Unterreiner
Königin der Nacht: Serena Sáenz
Pamina: Maria Nazarova
Drei Damen: Jenni Hietala, Alma Neuhaus, Monica Bohinec
Papageno: Ludwig Mittelhammer
Papagena: Hannah-Theres Weigl
Monostatos: Jörg Schneider
1. und 2. Geharnischter: Norbert Ernst, Evgeny Solodovnikov
Drei Knaben: Lina-Marie Znamenskiy; Filip Dorobantu, Elias Pakla
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
Musikalische Leitung: Adam Fischer
Inszenierung: Barbora Horákova
Bühne & Video: Falko Herold
Kostüme: Eva Butzkies
Licht: Stefan Bolliger
Textbearbeitung: Isabella Gregor
Puppenbau: Marius Kob, Eren Karakuş
Puppencoach Christian Pfütze
Dramaturgie: Sergio Morabito
Choreinstudierung: Martin Schebesta