Hardenrath Kapelle in St. Maria im Kapitol, Köln: Bildrechte: Richard Lorber

Richard Lorber

Musik im alten Köln – alte Musik in Köln

Vom Neumarkt in Richtung Rhein steht kurz vor dem Heumarkt rechts auf einer leichten Anhöhe, wo in der Römerzeit der Kapitolstempel war, die Kirche St. Maria im Kapitol, eine der 12 romanischen Kirchen Kölns. Sie ist in ihrer nach dem Krieg wiederherstellten Strenge und Schlichtheit vielleicht die eindrucksvollste unter den Zwölfen.

Das alte Köln hatte kein musikalisches Zentrum; natürlich wurde im Dom auch musiziert, aber zu keiner Zeit wären sich dort die großen Komponisten begegnet. Auch gab es in Köln kein Residenzschloss und somit keine Hofkapelle.

Typisch ist für Köln, die ewig unfertige Stadt, dass eine im Vergleich zum Dom so zurückhaltend erscheinende Kirche wie St. Maria im Kapitol als musikalisches Zentrum der Stadt herhalten darf, im 20. und 21. und schon im 15. und 16. Jahrhundert. In der Bürgerstadt Köln war es üblich, dass die Reichen und Einflussreichen stifteten. Das Geschlecht der Hardenraths war eine solche Patrizierfamilie. Sie stellte zahlreiche Bürgermeister, unter ihnen Johann Hardenrath d. Ä., der in St. Maria im Kapitol eine Kapelle stiftete. Das heißt, er bezahlte die Ausstattung und die notwendigen Umbauarbeiten. Die heute noch so genannte Hardenrath-Kapelle ist in der Südkonche auf der rechten Seite zu sehen, wenn man durch das Hauptschiff in Richtung Altarraum geht. Sie ist nach dem Krieg sorgfältig restauriert worden. Die 1466 geweihte, reich verzierte Kapelle, die in dem begrenzten Raum von vier mal vier Metern fast etwas Heimeliges und Wohnliches ausstrahlt, ist nichts anderes als eine Hauskapelle. Das ist ebenfalls typisch für Köln: Das Privatoratorium der Hardenraths wird in den öffentlichen Raum getragen und zur Schau gestellt.

Und zu Gehör gebracht: Denn zur Stiftung der Hardenraths gehörte mehr als nur die Baumaßnahme. Sie verfügten, dass in dieser Kapelle täglich die Messe gesungen wurde. Und damit sind wir bei der Musik. Diese Messe sollte von acht Sängern von einer speziellen Sängerempore, die zur zweiten Etage des Kapellchens gehört, aufgeführt werden. Speziell für diese Kapelle wurde dann eine musikalische Sammlung aufgebaut. Zwei Chorbücher haben überlebt. Und darin findet sich sogar von Philippe de Monte, dem großen franko-flämischen Komponisten, eine “Missa sine nomine”, die weltweit nur in der Hardenrath-Kapelle überliefert ist.

Zu dieser Zeit war Köln seit 800 Jahren Erzdiözese und, wie es so schön heißt, sehr bald ein führendes Zentrum des Handels und der Künste geworden. Es ist allerdings erstaunlich, dass man über die Musik im alten Köln so wenig weiß. Die winzige Hardenrath-Kapelle in St. Maria im Kapitol: musikalisches Zentrum einer Weltstadt im 16. Jahrhundert. Etwa 400 Jahre später ist St. Maria im Kapitol erneut ein musikalisches Zentrum der Stadt. 1988 fand hier zum ersten Mal die so genannte Romanische Nacht statt. Sie ist heute der Höhepunkt eines Sommerfestivals, bei dem die Kölner Bürger ihre romanischen Kirchen musikalisch erwandern.

Die 12 romanischen Kirchen prägen das Stadtbild des heutigen Kölns möglicherweise mehr als alle modernen Zweckbauten der Nachkriegszeit, und die Tatsache, dass der Wiederaufbau dieser Kirchen gelang und 1985 also 40 Jahre nach Kriegsende abgeschlossen wurde, erfüllt Kölner und Wahlkölner mit Stolz.

Auch deswegen ist man gern dabei, bei den romanischen Nächten in St. Maria im Kapitol. Die Romanische Nacht findet jedes Jahr Ende Juni, Anfang Juli statt, der romanische Sommer, die Großform dieses Festivals, in dem auch die anderen romanischen Kirchen “bespielt” werden, alle 2 Jahre.

Alte Musik und Köln, das klingt heute so vertraut wie Neue Musik und Köln; was den Neutönern Karlheinz Stockhausen und Mauricio Kagel ist, ist den Verfechtern der so genannten historischen Aufführungspraxis Konrad Junghänel oder Reinhard Goebel. Musica Antiqua Köln ist nicht nur der Name für Goebels weltberühmtes Ensemble, sondern steht für die in meinen Augen vielfältigste Musikform der Stadt. Alte Musik ist modern, und Köln ist seit den 50er-Jahren ein Zentrum der alten Musik, und zwar seit dem Gründungskonzert der Cappella Coloniensis am 18. September 1954 im Großen Sendesaal des damaligen Nordwestdeutschen Rundfunks, bei dem Bundespräsident Theodor Heuss und Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard dabei waren.

Reinhard Goebels Musica Antiqua Köln, 1973 knapp 20 Jahre später gegründet, ist derzeit womöglich neben Eau de Cologne einer der erfolgreichste Werbeträger Kölns im Ausland.  Andere Ensembles der Szene gastieren ebenso weltweit. Das alles trug und trägt Merkmale einer richtigen Szene.  

Die jüngste Konzertreihe dieser Szene kümmert sich um die ältesten Quellen: mittelalterliche Musik in der zum Schnütgen-Museum umgewandelten Cäcilien-Kirche eines ehemaligen Damenstifts beim Neumarkt. Dort sang im Frühjahr 2005 die Gruppe Ars Choralis Coeln aus dem Liederbuch der Anna von Köln, Gesänge, die am Ort des ehemaligen Damenstiftes erstmals seit dem Mittelalter wieder erklangen, unter anderem das älteste Karnevalslied Kölns, das ausgerechnet von der Nonne Anna überliefert wird: „Lasst uns singen und fröhlich sein“.

Erstmals erschienen in: Europa erlesen Köln, hrsg. von Joachim Dennhardt, Klagenfurt, Wieser-Verlag, 2005